Ottokar von Kraft                  Stimmen der Berge

 

Zu Bergesriesen sprach das Heer der Berge:

Wo gäb’ es Worte, euer Glück zu loben?

Ihr seid die Mittler zwischen Hier und Droben,

Wie von Gestade zu Gestad’ der Ferge.

 

Die Riesen drauf: O töricht eitle Zwerge!

Ihr sprächt wohl anders, throntet selbst ihr oben!

Beklagen sollt ihr, die ein Gott erhoben,

Da ihre Größe ihres Glückes Scherge.

 

O schwerstes Los, du Nähe der Gestirne!

Hier Donner, Blitz und Sturm, dort unten Regen,

Hier wilder Mächte Kampf, bei euch der Segen!

 

Im Dunkel ihr, im Lichtmeer unsre Firne,

Und dennoch warm bei euch, wenn unsre Stirne

Der Schnee bedeckt und eis’ge Winde fegen.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Schicksal der Größe

 

So lang ein Großer weilt in eurem Kreise,

Bleibt keine Art von Leiden ihm erspart;

Er wandelt, mit Entbehrung stets gepaart,

Und keine Seele horcht auf seine Weise.

 

Doch, wenn vollendet er die schwere Reise

Und, was er war, sich euch geoffenbart,

Dann rühmen tausend Federn seine Art

Und Monumente baut ihr ihm zum Preise.

 

Ach, übel dankt ihr solchem Göttersohne

Mit eurem ewig späten Ruhmesglanz,

Der nichts ihm taugt und euch ist nur zum Hohne.

 

Zum Teufel wünscht er euch mit eurem Lohne,

Drückt ihr aufs Totenhaupt den Lorbeerkranz

Und auf den Lockenkopf die Dornenkrone!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Schöpfung des Menschen

 

Sechs Tage brauchte Gott, die Welt zu schaffen!

Für kurze Dauer welche Riesenplage!

Was Wunder, das er drum am letzten Tage

An Schöpferkraft und Leistung mußt’ erschlaffen!

 

Und als zuletzt er, nach dem Frosch und Affen,

Den Menschen schaffen wollt’, von höh’rem Schlage,

War er erschöpft und nicht mehr in der Lage,

Zu halbweg bess’rer Tat sich aufzuraffen.

 

So pfuscht er zu, wie schlechte Maler pflegen,

Die sich gen Schluß zu keine Müh’ mehr nehmen,

Weil ihnen bloß am Fertigsein gelegen.

 

Und so ist dieser schnöde Balg entstanden,

Der, viel zu schlecht, die Tierwelt zu beschämen,

Nur noch die andre Schöpfung macht zu schanden.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Im Joch der Sinnlichkeit

 

Dir, Unnahbarer, fleh’ ich Stund’ für Stunde:

Erlöse mich von Geists und Körpers Streit!

O reiß mir aus der Brust die Sinnlichkeit,

Verschließ die klaffend ewig off’ne Wunde!

 

Du weißt’s, wie oft vom keuschen Dichtermunde

Gesang mir floß, der Reine nur geweiht;

O laß mich schwelgen stets in Geistigkeit,

Die doch mein wahres Wesen ist im Grunde!

 

O steh mir bei, die wilde Brunst zu stillen,

Du Allerbarmer, der du jeder Fliege

Die Stärke gibst, ihr Schicksal zu erfüllen!

 

Gib mir die Weihe, daß ich nicht erliege!

Beschirme mich um meiner Sendung willen,

Erhalte mich zu einem großen Siege!

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Wunsch

 

Wohin ich blicke, Nacht und Kerkerwände,

Wohin ich fliehe, Fesseln, Gitzter, Planken,

In mir Gestaltung heischende Gedanken,

Doch um mich Hemmnis nur und Widerstände.

 

Und nicht genug, daß Herz und Haupt und Hände

des Alltags Ketten schneidend mir umranken,

Auch meine Liebe schmälern tausend Schranken,

Versehren gleich mich ihre Flammenbrände.

 

Ich möchte nur für eine kurze Stunde

Beherrschen vom Olymp dies ganze Leben,

Kronion sein dem weiten Erdenrunde:

 

Dann wollt’ ich’s ganz dem Hades übergeben

Und, zwangsbefreit, in liebesel’gem Bunde

Mit Ganymed auf goldnen Wolken schweben.

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Sinnlichkeit

 

Die Sinnlichkeit vergleich ich einem Hunde,

Der nach mir schnappt, die Zähne fletscht und bellt,

Solang, bis zuzuwerfen mir’s gefällt

Ihm ein Stück Fleisch aus eigner off’nen Wunde.

 

Dran kauend, schweigt er eine kurze Stunde,

Dann atm’ ich auf und fühl’ mich wieder Held;

Doch fängt alsbald er neu an, giergeschwellt,

Und fährt so fort und richt’ mich noch zugrunde.

 

Wie gern geböt’ ich, wann ihn hungert: Nein!

Kein Bissen mehr! Doch bellt er dann so gräßlich,

Daß klein der Sieg vor dieser Höllenpein.

 

Drum schleudr’ ich lieber noch ein Stück ihm zu,

Sag’ mir zur Täuschung, daß es unerläßlich,

Und nütz’, dieweil er frißt, die kurze Ruh’.

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Zwei Feuer

 

Zwei Feuer fühl’ an meinem Sein ich zehren,

Zwei nie gelöschte, heiße Flammenbrände;

Viel lieber wollt’ ich, daß mein Leben schwände,

Als daß zeitlebens sie das Herz mir sehren.

 

Das eine gilt der Lieb’, der reinen, hehren,

Daß anbetend ich falte keusch die Hände;

Das andre ruft ein blühend Kind ohn’ Ende,

Mit ihm der Wollust Taumelkelch zu leeren.

 

Bald greift mich die, bald die der beiden Flammen,

Dann wähn’ ich stets, die andre zu verwinden;

Oft lodern, schlagen, flammen sie zusammen!

 

Dann bet’ ich: Gott, schaff solch ein Dürsten wieder

In einer zweiten Brust, die laß mich finden,

Sonst: glühe, brenne, senge, schlag’ mich nieder!

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Auf eine Postkarte mit dem Bild Richard Wagners

 

Sie sind der Einz’ge hier von meinen Kunden,

Der jemals Karten kauft von dieser Sorte.

So sprach der Händler an des Ladens Pforte,

Als Wagners Bild ich mir herausgefunden.

 

Er ahnte nimmer, wie mich tief verwunden,

Erbittern würden seine wahren Worte!

Der Einz’ge, ach! im ganzen, ganzen Orte,

Und doch Prometheus gleich hier festgebunden!

 

Der Einz’ge, der zu werten voll imstand’ ist

Das Ideal in ganzer Kraft und Hehre,

Das Tausenden ringsher fast unbekannt ist!

 

Dem Schiffer gleich, der im austral’schen Meere

Bei Antipoden jahrelang verbannt ist,

Empfand ich meines Hierseins tiefste Leere.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Die Sphinx

                                                                              Gemälde von Franz Stuck

 

Berückend hingestreckt, halb Weib, halb Katze,

Ruht sie, die Sphinx, auf flachem Felsengrunde;

Ein junger Mann hängt wild im Liebesbunde

Ihr an der Brust, nicht achtend ihre Tatze.

 

Doch während, schwelgend so im höchsten Schatze,

Er sich berauscht am Kuß von ihrem Munde,

Schlägt seinem Leib sie eine tiefe Wunde,

Umarmt zerfleischend ihn mit ihrer Pratze.

 

Des Genius Schicksal les’ ich hier im Spiegel,

das Höllenqual mit himmlischem Genusse

 In einem ihm beschert mit seinem Kusse.

 

Es drückt ihm auf die Stirn der Gottheit Siegel,

Und während er geneußt in Himmelshallen,

Zermartern ihn da drunten seine Krallen.

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Das Große am Genie

 

O glaubt nur nicht, daß dies den Dichter mache,

Daß Reim an Reim er weiß geschickt zu binden,

Aus glatten Verschen ein Gedicht zu winden,

Daß hier man weine und daß dort man lache.

 

Dem wahren Künstler ist’s die kleinste Sache,

Die größte bleibt das große Weltempfinden;

Dazu muß wohl die Fertigkeit sich finden,

Doch Fertigkeit oh’n Fühlen ist nur Mache.

 

Des Genius Wert und Wesen macht sie nie,

Ist nie der Urquell hehrsten Gott-Erbauens,

In höchsten Sphären schwelgt er nie durch sie.

 

Der eignen Brust gewalt’ge Symphonie,

Die Wunder-Weise seines Welten-Schauens:

Das ist das wahrhaft Große am Genie

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Der Genius

 

Was mir das Höchste stets am Genius galt,

Dran immer noch der Menschengeist genesen,

Ist seine Macht, im Augenblick zu lesen,

Was vielen fremd, ob hundert Jahr’ sie alt.

 

Sehn Tausende vor Bäumen nicht den Wald,

Verstrickt im Wust von Thesen, Antithesen,

Sieht er hindurch der Dinge wahres Wesen,

Im Nu der Wahrheit nackte Lichtgestalt.

 

Was oft Zehntausende in tausend Jahren

Nicht sahn, weil sie’s in Einfalt nimmer suchten,

Das kann ein Augenblick ihm offenbaren.

 

In solchem Brennpunkt treffen oft die Flammen

Des höchsten Lichtquells wunderhehr zusammen,

Die noch Jahrhunderte nach ihm befruchten

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Genieblick

 

O Augen des Genies! Der Psyche Sitze

Die sie zum Thron im Körper sich erwählet!

O Pole, wo sich Geist und Stoff vermählet,

Ihr in den Götterhimmel lichte Ritze!

 

Säh’ von der Märtyrkrone Dorn und Spitze

Des Genius Antlitz noch so sehr zerquälet,

Wär’ nicht ein Zug, der seine Art erzählet,

verrietzen doch ihn seiner Augen Blitze.

 

Denn wie’s dem Lästerer, dem Gottverneiner,

Aus des bestirnten Himmels Weltenferne

„Es ist ein Gott!“ herniedertönt zum Spotte:

 

So, wär’ er häßlich selbst, wie irgend einer,

Es riefen doch des Genius Augensterne:

„Hier thront der Geist!“ und „Dieser ist vom Gotte!“

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Ruhestunden

 

Warum, so oft ich rasten möcht’ im Schaffen,

Scheint alles Leben mir so ungenießlich?

Jedwede Lust so kalt und unersprießlich,

das ganze Dasein zwecklos schmerzlich Gaffen?

 

Warum dann fühl’ ich jeder Wunde Klaffen

Und Qual und Pein und Langeweil’ verdrießlich?

Warum dann leid’ ich also, daß ich schließlich

Es vorzieh’, neu zur Tat mich aufzuraffen?

 

mich dünkt, wir Weltverbess’rer, Denker, Dichter

Sind nur das Zugvieh an der Menschheit Pfluge,

Des Schicksalswillens blinde Tatverrichter.

 

Das Tier, wie’s rasten möcht’, bekommt die Knute,

Und wie der Genius innehält im Fluge,

Wird ihm die eigne Ruh’ zur Geißelrute.

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Stimmen des Innern

 

Mein Innres klagt: O Schicksal! Himmelsmächte!

Was soll mir all dies Ringen, Kämpfen, Trachten?

Was mit mir selbst die grimmen Geistesschlachten?

Was gen Pygmän die qualvollern Gefechte?

 

Mein Körper stöhnt: Ihr unrastschwangern Nächte,

In Wollust erst und dann in Pein durchwachten!

Wozu dies Brennen, Lechzen, Dürsten, schmachten,

das mir den Gott im Busen macht zum knechte?

 

Mein Schicksal ruft: Erlebe! Juble! Leide!

Kenn’ Höll’ und Himmel, Leben sind sie beide!

Bis tiefst zum Grunde leer’ das Daseins Schale!

 

Mein Stern erglänzt: - zum Segen deinem Werke,

Zum Wachstum mir, zu meines Glanzes Stärke,

Daß ich nur glüh’, daß weit mein Licht einst strahle!